DIE GEDANKENLESER sind ein Trainingsprogramm, das Theory of Mind-Kompetenzen und die dazugehörigen Sprachfähigkeiten trainiert. Es wurde für gehörlose und schwerhörige Kinder und Jugendliche entwickelt und kann auch bei hörenden Kindern eingesetzt werden. Das Trainingsprogramm wurde wissenschaftlich erprobt und in der Praxis umfangreich getestet.
Konzept
Das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER ist
strikt theoriegeleitet: Das Programm orientiert sich an den Forschungsergebnissen zu den verschiedenen Entwicklungsstufen der Theory of Mind und den damit verbundenen Laut- und/oder Gebärdensprachkompetenzen. Außerdem kombiniert es verschiedene evidenzbasierte Methoden zur Theory of Mind-Förderung.
modular aufgebaut: Das Programm besteht aus 9 Modulen, die die einzelnen Entwicklungsschritte der Theory of Mind trainieren. Mit einem zusätzlichen Modul können gezielt sprachliche Fähigkeiten geübt werden, die mit der Theory of Mind-Entwicklung verbunden sind. Die modulare Struktur erlaubt es, DIE GEDANKENLESER flexibel einzusetzen.
mehrsprachig mit Laut- und Gebärdensprachen: Die Materialien und Informationen stehen in verschiedenen Laut- und Gebärdensprachen zur Verfügung.
vielfältig einsetzbar: DIE GEDANKENLESER enthalten eine Vielzahl von Lehr- und Lernmaterialien, darunter Geschichten, farbige Bilder, Gebärdensprachvideos, künstlerische Aktivitäten und Rollenspiele. Die Methoden und Materialien berücksichtigen dabei im besonderen Maße die heterogenen Bedürfnisse von gehörlosen und schwerhörigen Kindern (z. B. Lernvoraussetzungen, Alter, Kultur, Bildungsumfeld, sprachliche Orientierung). Visualität spielt dabei eine große Rolle, so dass auch Kinder mit Verzögerungen in der Sprachentwicklung von dem Trainingsprogramm profitieren können.
inklusiv: DIE GEDANKENLESER können sowohl in Förder-/Sonderschulen als auch in Regelschulen eingesetzt werden.
niederschwellig zugänglich: Alle Materialien können unter Berücksichtigung der Copyright-Bedingungen kostenlos heruntergeladen und verwendet sowie individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Kinder und Jugendlichen angepasst werden.
evidenzbasiert: Das Programm wurde in zwei Praxisphasen mit 116 Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Griechenland, Zypern und der Schweiz umfangreich erprobt und seine Wirksamkeit mit Hilfe von wissenschaftlichen Tests überprüft. Die Erprobungsphasen fanden in Förderschulen/Sonderschulen und Regelschulen statt und wurden von gehörlosen und hörenden Lehrer:innen und Pädagog:innen durchgeführt. Die Übungen wurden in Klassen, Kleingruppen und in Einzelsettings ausprobiert. Die Ergebnisse und die detaillierten Rückmeldungen der Lehrer:innen flossen in die Überarbeitung des Trainingsprogramms und in die Hinweise in der Toolbox ein.
partizipativ entwickelt: Das Programm wurde gemeinsam von hörenden sowie gehörlosen und schwerhörigen Forscher:innen und Lehrer:innen und Pädagog:innen entwickelt.
kulturell vielfältig: Forscher:innen sowie Lehrer:innen und Pädagog:innen in verschiedenen Ländern und mit verschiedenen sprachlichen Hintergründen haben DIE GEDANKENLESER gemeinsam entwickelt, so dass kulturelle Diversität berücksichtigt wurde.
Ziele
Das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER hilft Kindern und Jugendlichen,
- zu erkennen, dass sie selbst und andere Menschen über Gefühle, Wünsche, Überzeugungen und Wissen verfügen,
- unterschiedliche Gefühle zu verstehen und zu benennen sowie auslösende Ursachen zu erkennen,
- verschiedene Strategien für die Regulierung der eigenen Gefühle zu entwickeln und zu reflektieren,
- über die eigenen mentalen Zustände und Gefühle und die anderer Menschen nachzudenken und sich über diese auszutauschen,
- das eigene Verhalten und das anderer Menschen zu verstehen und zu erklären,
- das eigene Verhalten zu regulieren und an die Bedürfnisse anderer Menschen anzupassen.
Da Sprache eine entscheidende Rolle beim Erwerb von Theory of Mind spielt, lernen die Kinder zusätzlich in Laut- und/oder Gebärdensprache
- Vokabular für mentale Konzepte und Gefühle zu verwenden,
- komplexe Sätze über Gefühle und Gedanken zu verstehen und zu formulieren und
- über eigene und fremde emotionale Erfahrungen zu kommunizieren.
Welche Kinder können von den GEDANKENLESERN profitieren?
Alle Kinder können von den GEDANKENLESERN in einer Vielzahl von pädagogischen Kontexten profitieren:
- Kinder im Vorschulalter
- Kinder in der Grundschule
- Kinder und Jugendliche in der Sekundarstufe
Das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER berücksichtigt in besonderer Hinsicht die Entwicklungs- und Lernbedingungen von Kindern und Jugendlichen mit einer Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit oder einer anderen Form von Hörbeeinträchtigung. Es werden Materialien in Deutsch und Deutscher Gebärdensprache bzw. Deutschschweizer Gebärdensprache sowie umfangreiches visuelles Material zur Verfügung gestellt.
Das Trainingsprogramm kann außerdem auch verwendet werden mit
- hörenden Kindern,
- älteren Kindern und Jugendlichen, die aufgrund von neurologischen Entwicklungsstörungen oder verschiedenen umweltbedingten Gründen in ihren sozialen kognitiven Fähigkeiten verzögert entwickelt sind,
-
alle Kinder, unabhängig von Unterschieden in Bezug auf Alter, Hörstatus, Geschlecht, Lernfähigkeit, familiärem sozioökonomischen und kulturellen Hintergrund, Persönlichkeitsmerkmalen, Motivation oder anderen individuellen Unterschieden beim Lernen.
Das Training DIE GEDANKENLESER kann präventiv und intervenierend eingesetzt werden. Es ist flexibel gestaltet, so dass Lehrer:in oder Pädagog:in zwischen vielen verschiedenen Übungen und Materialien wählen und diese bei Bedarf auch selbst an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen anpassen können.
Wer kann die GEDANKENLESER durchführen?
DIE GEDANKENLESER können eingesetzt werden von:
- Lehrer:innen, sowohl im allgemeinen als auch im sonderpädagogischen Bereich
- pädagogischen Fachkräften, Sprachtherapeut:innen, (Schul-)psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen.
Auf dieser Webseite und im Manual erhalten Sie die theoretischen Grundlagen und viele wichtige Hinweise für die Durchführung. Wir empfehlen zusätzlich, an Schulungsmaßnahmen teilzunehmen.
Eltern, Betreuer:innen oder andere Familienmitglieder können begleitend mit Hilfe von Spielen und Büchern das Theory of Mind-Verständnis der Kinder und ihre alltägliche soziale Fähigkeiten fördern. Tipps dazu finden Sie auch auf dieser Homepage.
Zu Ihrer Unterstützung haben wir Ihnen eine Liste von wichtigen Vokabeln in Deutscher Gebärdensprache bzw. Deutschschweizer Gebärdensprache für die Bezeichnung von inneren Zuständen und Gefühlen zusammengestellt.
Einsatzmöglichkeiten in der Schule und anderen Bildungssettings
DIE GEDANKENLESER sind flexibel in verschiedenen Bildungssettings und unter unterschiedlichen Unterrichtsbedingungen einsetzbar. Sie können sehr gut in den normalen Schullehrplan sowohl in Regel- als auch in Förder- bzw. Sonderschulen eingebettet oder für die Einzelförderung verwendet werden.
Die Übungen können gut z.B. im Sprachunterricht oder in Unterrichtsfächern und Projekten, die spezifisch die persönliche, emotionale und soziale Entwicklung zum Ziel haben, durchgeführt werden.
Alle Übungen eignen sich für den Einsatz in Gruppen mit hörenden und gehörlosen / schwerhörigen Kindern und in sprachgemischten Gruppen mit Laut- und Gebärdensprachen.
Sie können selbst entscheiden, ob Sie DIE GEDANKENLESER mit einer ganzen Klasse, einer Kleingruppe oder auch nur in der Einzelförderung mit einem Kind oder einer/einem Jugendlichen durchführen.
Dieses Symbol zeigt in den Übungen an, dass diese auch für Einzelsitzungen geeignet sind. In manchen Übungen folgen außerdem noch Erklärungen, wie die Übung ggf. angepasst werden kann.
Tipps
- Es ist hilfreich, die Übungen nicht ausschließlich in Einzelsitzungen durchzuführen. Um Theory of Mind-Fähigkeiten erfolgreich zu entwickeln, bedarf es des Austausches mit möglichst vielen Menschen, da dadurch verschiedene Perspektiven sichtbar werden. Wenn möglich, kombinieren Sie deshalb Einzelsitzungen mit Kleingruppen- oder Partnerübungen.
- Wenn Sie DIE GEDANKENLESER in der Einzelförderung durchführen, kann das Kind beispielsweise für eine Sitzung einen Freund oder eine Freundin einladen.
Zusammenarbeit mit Eltern
Es ist hilfreich, Eltern in die Unterstützung der Theory of Mind -Entwicklung einzubeziehen. Sie sollen keine „Therapeut:innen“ ihrer Kinder werden. Aber mit kleinen Dingen im Alltag können auch Eltern ihre Kinder dennoch gut unterstützen.
Tipps
- Besprechen Sie mit den Eltern in Elterngesprächen den jeweiligen Entwicklungsstand ihres Kindes im Bereich der emotionalen und sozial-kognitiven Entwicklung. Fragen Sie die Eltern auch nach ihren Erfahrungen. Das hilft Ihnen bei der Einschätzung, über welche Fähigkeiten das Kind verfügt.
- Erklären Sie den Eltern die Gründe für mögliche Entwicklungsverzögerungen. Das hilft den Eltern, ihre Kinder besser zu verstehen und bewusster darauf zu achten, Gefühle und Innenwelten von Personen im Alltag zu thematisieren.
- Informieren Sie die Eltern über das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER. Erläutern Sie die Ziele und zeigen Sie beispielhaft einzelne Übungen. Das kann ein gutes Thema zum Beispiel für einen Elternabend sein.
- Ermutigen Sie die Eltern, sich mit ihren Kindern immer wieder im Alltag über die eigenen Gefühle und Gedanken sowie die anderer Menschen auszutauschen.
- Geben Sie den Eltern Tipps, was sie zuhause machen können. Geben Sie ihnen zum Beispiel eine Liste mit Spielen oder (Bilder-)Büchern, die besonders geeignet sind, über Gefühle und Gedanken von unterschiedlichen Menschen zu kommunizieren. Vielleicht haben Sie auch im Klassenzimmer Bücher und Spiele, die Sie bei Bedarf ausleihen können.
- Informationsmaterialien und Tipps für die Eltern finden Sie hier.