Das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER wurde zwischen 2019 bis 2021 in Schulen in Deutschland, Griechenland, Zypern und der Schweiz erprobt und wissenschaftlich evaluiert. Sie finden hier Informationen zu dieser Begleitforschung und zu eigenen und internationalen Publikationen. Außerdem haben die Partnerschulen ihre Erfahrungen in Videos dokumentiert, die Sie hier anschauen können.
Studie zum Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER
Ziele
In der Entwicklungsphase wurde das Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER in zwei Durchgängen an sieben Partnerschulen in Deutschland, Zypern, Griechenland und der Schweiz erprobt. Die Ziele der Begleitforschung waren
- die Erhebung des Entwicklungsstandes in Theory of Mind-Kompetenzen und im Emotionswissen von schwerhörigen und gehörlosen Kindern und Jugendlichen und möglicher Einflussfaktoren,
- die Evaluation des Konzepts sowie der Methoden und Materialien des Trainingsprogramms DIE GEDANKENLESER unter Berücksichtigung verschiedener Bildungssettings (Klassenunterricht, Einzelförderung, Regel- und Förderschulen) und
- die Überprüfung der Wirksamkeit des Trainingsprogramms.
Datenerhebungs- und Überarbeitungsphasen
Die qualitativen Daten wurden während und nach der Erprobungsphasen erhoben (Evaluationsjournale). Zur Erhebung der quantitativen Daten wurde ein Pre- und Post-Test-Design verwendet (Test T1 bis T4). In der ersten Erprobungsphase wurde neben der Interventionsgruppe eine Kontrollgruppe getestet, die in der zweiten Erprobungsphase zur Interventionsgruppe wurde.
Im Anschluss an jede Erprobungsphase wurde das Trainingsprogramm überarbeitet.
Stichprobe und Methoden
Während der Entwicklungsphase haben über 30 gehörlose, schwerhörige und hörende Lehrer:innen mit dem Programm gearbeitet. Insgesamt haben 127 schwerhörige und gehörlose Kinder und Jugendliche an den beiden Erprobungsphasen teilgenommen. Die Gruppe der Schüler:innen war hinsichtlich des Alters, des eigenen Hörstatus und des der Eltern sowie des sprachlichen Hintergrundes (Laut- und/oder Gebärdensprache) heterogen zusammengesetzt.
Im Rahmen einer Methodentriangulation wurden verschiedene qualitative und quantitative Methoden eingesetzt.
Qualitative Methoden
Selbstevaluation durch Lehrer:innen nach jeder Übung: Die Lehrkräfte füllten nach jeder durchgeführten Übung ein Evaluationsjournal aus, in dem sie das Übungskonzept, die Anleitungen, die Erreichbarkeit der Lernziele und die eingesetzten Methoden und Materialien beurteilten sowie Änderungsvorschläge machten.
Rückmeldung der Schüler:innen: Die Schüler:innen beurteilten jede Übung mit Hilfe von Smileys und gaben Gründe dafür an, die die Lehrer:innen im jeweiligen Evaluationsjournal notierten.
Fokusgruppeninterviews mit Lehrer:innen: Am Ende der ersten Erprobungsphase diskutierten Lehrkräfte das Gesamtkonzept, die Praxistauglichkeit und die eingesetzten Methoden und Materialien. Hier wurden die Stärken und Schwächen des Trainingsprogramms evaluiert und u.a. überprüft, ob es der Heterogenität der Schüler:innen gerecht wird.
Quantitative Methoden
Test zu Theory-of-Mind: Der „Theory of Mind Task Test“ von Peterson et al. (2005) wurde in die verschiedenen Laut- und Gebärdensprachen übersetzt und zur Überprüfung der fünf Stufen der Theory-of-Mind-Entwicklung eingesetzt.
Test zu Emotionswissen: Der „Test of Emotion Comprehension“ von Pons, Harris und De Rosnay (2004) (deutsch: Skala zur Erfassung des Emotionswissens (SEW), Jahnke (2008) wurde bei Bedarf in die verschiedenen Laut- und Gebärdensprachen übersetzt und zur Überprüfung der neun Komponenten des Emotionswissens eingesetzt.
Hintergrundfragebogen: Mit dem Hintergrundfragebogen wurden Daten von den Lehrer:innen zum sozioökonomischen Status, Hörstatus, Sprachkompetenzen aus dem Heidelberger Kompetenz Inventar (Holtz et al., 1984) und dem Strengths and Difficulties Questionnaire SDQ (Goodman, 1997) erhoben.
Ergebnisse
- Entwicklungsstand vor Beginn der ersten Erprobungsphase
Der Pretest zu den Theory of Mind-Kompetenzen und zum Emotionswissen hat eine große Streuung der Kompetenzen der Schüler:innen in allen vier Ländern ergeben und gezeigt, dass diese im Durchschnitt in ihrer Entwicklung im Vergleich zu hörenden Gleichaltrigen (z.B. Peterson et al. 2005; Pons, Harris und De Rosnay 2004) um mehrere Jahre zurückliegen.
- Evaluation des Konzepts sowie der Übungen und Materialien
Die Rückmeldungen der Lehrer:innen und Kinder wurden in der ersten und zweiten Überarbeitung berücksichtigt. Ihre Erfahrungen sind außerdem in die Hinweise zur Durchführung und Implementierung DER GEDANKENLESER in der Toolbox eingeflossen. Die Evaluation hat insbesondere zu folgenden Erkenntnissen geführt:
- Der modulare Aufbau des Trainings, der kleinschrittige Aufbau, seine Differenziertheit und Flexibilität ermöglichen es, der Heterogenität der Schüler:innen gerecht zu werden. Gleichzeitig benötigen Lehrer:innen zu Beginn des Trainingsprogramms Unterstützung, um sich im Training gut orientieren zu können.
- Die Visualisierung und Kontextualisierung der Lerninhalte für gehörlose und schwerhörige Kinder wurde als besonders wichtig erachtet. Aus diesem Grund wurden zu den meisten Geschichten Bilder angefertigt, die mit und ohne Text im Unterricht eingesetzt werden können. Das Konzept der Gedankenblasen hat sich dabei besonders bewährt und war vor allem auch für Kinder mit geringen Sprachkompetenzen eine bildhafte Lernhilfe.
- Die Mehrsprachigkeit des Trainingsprogramms wird von den Lehrer:innen wertgeschätzt, um der unterschiedlichen sprachlichen Orientierung der Kinder gerecht werden zu können. Gleichzeitig können Kompetenzen in Laut- und/oder Gebärdensprachen bei den Kindern aufgebaut werden. Nach der ersten Erprobungsphase wurden auf Wunsch der Lehrer:innen deshalb weitere gebärdensprachliche Videos ergänzt. Die Videos wurden zum einen im Unterricht selbst benutzt. Zum anderen haben Lehrer:innen sie als Erzählvorlage verwendet, um die eigenen gebärdensprachlichen Kompetenzen zu erweitern.
- Die Lehrer:innen gaben an, dass sie die sozial-kognitiven und emotionalen Kompetenzen ihrer Schüler:innen a) nach den Schulung und b) nach der Durchführung des Trainingsprogramms besser einschätzen können und c) sensibler für Aspekte der Theory of Mind und des Emotionswissens im Alltag geworden sind.
- Folgendes wurde als besonders hilfreich erachtet, um DIE GEDANKENLESER in Schulen zu implementieren: Schulinterne/externe Schulungen, Bildung von Muliplikatorenteams innerhalb eines Kollegiums, Erstellung von Unterrichtskoffern mit den Materialien, die von mehreren Lehrkräften genutzt werden können, schulweite Festlegung eines festen zeitlichen Rhythmus (pro Halbjahr/Jahr) zur systematischen Durchführung des Trainingsprogramms.
Zitate von Lehrer:innen:
„Das Erzählen von Geschichten mit Hilfe der Figuren machte viel Sinn, die Figuren halfen den Schülern, sich in die Situation hineinzuversetzen, eigene Ideen zu entwickeln. Die Aufmerksamkeit war konzentriert, die Kommunikation fand statt und auch die Sprachförderung.“ (Lehrkraft in Fokusgruppeninterview, März 2021)
„Die Kinder liebten es, die Theatersequenzen für die einzelnen Gefühle zu spielen. (…) Dies wurde von vielen Kindern im anschließenden Freispiel aufgegriffen.“ (Lehrkraft in Evaluationsjournal, Februar 2021)
- Wirksamkeit des Trainingsprogramms
- Der Pre- und Posttest der ersten Erprobungsphase haben ergeben, dass die Interventionsgruppe ihre Kompetenzen sowohl im Bereich der Theory of Mind als auch des Emotionswissens mehr gesteigert haben als die Kontrollgruppe. Dieser Unterschied ist aber statistisch nicht signifikant. Detaillierte Analysen zeigen allerdings, dass insbesondere Schüler:innen mit sehr geringen kommunikativen Kompetenzen eine signifikante Verbesserung in der Entwicklung von ToM-Kompetenzen im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigen. Auch zeigt sich die Tendenz, dass Kinder, die mit niedrigen Kompetenzen im Bereich der Theory of Mind in das Training starten, besonders große Verbesserungen erzielen.
Die Kinder in der zweiten Erprobungsphase konnten ebenfalls ihre Leistungen in beiden Bereichen verbessern. Da die zweite Erprobungsphase und auch die Testphasen bedingt durch die Schließungen der Schulen in der Covid-19-Pandemie bei etlichen Kindern für längere Zeit unterbrochen werden mussten, müssen die quantitativen Daten der zweiten Erprobungsphase allerdings mit Vorsicht analysiert werden. - Die qualitative Befragung nach beiden Erprobungsphasen zur Wirksamkeit hat ergeben, dass es Kindern gelingt, die neu erworbenen Kompetenzen in ihren Alltag zu transferieren. Das wurde sowohl im freien Spiel beobachtet, als auch z. B. bei Streitschlichtungen, in denen die Schüler:innen die eigenen Beweggründe und Verhalten und das anderer Menschen besser reflektieren konnten.
Zitate von Lehrer:innen:
„Wir haben gelernt, was in den Köpfen unserer Schüler/Kinder vorgeht.“ (Lehrkraft in Fokusgruppeninterview, März 2021)
„Ein Kind erzählt die folgende Situation: ‘Ich habe mir weh getan und ich wollte nicht, dass die anderen sehen, dass ich mir weg getan habe. Und dann hab ich ProToM gemacht: Ich habe ein Poker Face gemacht!’“ (Lehrkraft in schriftlichem Feedback, Januar 2020)
Detailliertere Informationen zur Begleitforschung und den Ergebnissen finden Sie in unseren Publikationen.
Literatur
Goodman, R. (1997). The Strengths and Difficulties Questionnaire: a research note. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 28/5, 581-586.
Holtz, K., Eberle, A., Hillig, A. & Marker, K. (1984). Heidelberger Kompetenz-Inventar für geistig Behinderte (HKI). Edition S: Wien.
Jahnke, B. (2008). Emotionswissen und Sozialkompetenz von Kindern im Alter von drei bis zehn Jahren. Empirische Pädagogik, 22/2, 127-144.
Peterson, CC., Wellman, HM. & Liu, D (2005). Steps in theory of mind development for children with autism, deafness or typical development. Child Development, 76, 502–517.
Pons, F., Harris, P. & De Rosnay, M. (2004). Emotion comprehension between 3 and 11 years: Developmental periods and hierarchical organization. European Journal of Developmental Psychology, 1/2, 127-152.
Erfahrungen aus den Schulen mit den GEDANKENLESERN
Special Elementary School for the Deaf and Hard of Hearing of Argyroupolis, Athen, Griechenland
Special Education United Vocational and Senior High School of Chalkida, Griechenland
Pädagogisches Zentrum für Hören und Sprache HSM, Münchenbuchsee, Schweiz
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Schweiz
Bildungs- und Beratungszentrum für Hörgeschädigte Stegen, Deutschland
Ernst-Adolf-Eschke-Schule Berlin, Deutschland
Die Videos wurden von den Schulpartnern erstellt, die am Projekt ProToM beteiligt waren.
Publikationen
Publikationen zum Trainingsprogramm DIE GEDANKENLESER
coming soon
Forschungsliteratur zu Theory of Mind und Emotionswissen
Hier finden Sie weiterführende Publikationen zu Theory of Mind und Emotionswissen: Publikationsliste.